Ruppichteroth im Haushaltsdesaster

Wer hat Schuld und was ist zu tun?

Nachdem bekannt wurde, in welcher dramatischen finanziellen Situation sich die Gemeinde Ruppichteroth befindet, drehte sich die Diskussion zunächst darum, die Schuldigen dafür festzumachen. Wäre es nicht wichtiger, nach Wegen aus der Misere zu suchen?

Wir, die Fraktion BSG (Bündnis Sozial Gerechtigkeit) im Rat der Gemeinde Ruppichteroth wollen beides. Die Verantwortung offen benennen, aber ohne eine Hexenjagd auszurufen und wir wollen konstruktive Vorschläge einbringen, die zumindest ein wenig dazu beitragen uns aus dieser Situation herauszuhelfen.

Nicht alle Bürgerinnen werden uns schon kennen, darum stellen wir uns kurz vor: Die Fraktion BSG besteht aus zwei Gemeinderatsmitgliedern, das sind Hans-Ralf Voigt, seit 2020 im Rat, der als Fraktionsvorsitzender Mitglied der SPD ist und Frank Kemper, im Rat seit 2009, Mitglied von DIE LINKE. Beide haben im Übrigen weder den bisherigen Haushalten zugestimmt noch der Renovierung der Bröltalhalle, Hans-Ralf Voigt, weil er zu dieser Zeit noch gar nicht im Rat war, Frank Kemper, weil die damalige Linksfraktion im Rat schon seit Jahren die sich immer hoher auftürmenden Risiken nicht mittragen wolle.

 Wer aber hat Schuld an dem Desaster?

Diese Frage lässt sich klar in folgender Reihenfolge beantworten:

1.

Bund, das Land NRW, der Rhein-Sieg-Kreis und der Landschaftsverband Rheinland.

Bund und das Land NRW beschließen welche Aufgaben die Kommunen zu erfüllen haben und welche finanziellen Mittel ihnen dafür zur Verfügung gestellt werden. Schon seit Jahren, beklagen Fachleute, z. B. Kämmerer verschiedenster Parteizugehörigkeiten, dass sich die Aufgaben mit den zur Verfügung gestellten Mitteln nicht ausführen lassen. Frank Kemper weist seit Jahren darauf hin, dass die ein Demokratieabschaffungsprogramm ist. Denn die finanzielle Ausstellung der Kommunen ist, insbesondere in NRW so knappgehalten, das kleine Kommunen größere Projekte (wie die Renovierung einer Schule) oft gar nicht mehr allein stemmen können. Hier werden dann oft Zuschüsse angeboten, die aber immer damit einhergehen, dass die eigentlich vor Ort zu treffenden Entscheidungen von den Zuschussgebern getroffen werden. So wird die grundgesetzliche garantierte Selbstverwaltung der Kommune ausgehebelt.

Der Rhein-Sieg-Kreis finanziert sich durch Umlagen der Kommunen, d. h. der Kreistag beschließt die Höhe der Umlage, er muss dabei keinerlei Rücksicht auf die Verhältnisse in den Kommunen nehmen. So macht allein die Kreisumlage ca. 300 % des Hebesatzes der Gemeinde Ruppichteroth aus.

Der LVR (Landschaftsverband Rheinland) wiederum finanziert sich durch eine Umlage der Kreise, somit muss der Rhein-Sieg-Kreis einen beträchtlichen Teil (rd. 1/3) seiner Mittel an den LVR überweisen.

Weil weder LVR noch Kreis auf die vorgelagerten Kommunen Rücksicht nehmen müssen kommen da teilweise absurde Ergebnisse heraus. So zahlt der LVR seinen MitarbeiterInnen sogenannte Personalgewinnungsprämien. Damit wird belohnt wer MitarbeiterInnen bei Kommunen abwirbt (manche Programme belohnen auch direkt die abgeworbenen MitarbeiterInnen). Am Ende bezahlt also die Gemeinde Ruppichteroth mit ihrer Umlage dafür, dass der LVR versucht ihre MitarbeiterInnen abzuwerben.

Um die Dimension dieser Umlagen deutlich zu machen: Die gesamten Ausgaben der Gemeinde belaufen sich laut Haushaltsentwurf im Jahr 2023 auf 26.327.651 €.

Davon gehen an Kreis und LVR (Allgemeine Kreisumlage einschl. darin enthaltenem Anteil der LVR-Umlage):  4.691.169€

Jugendamtsumlage:                                                                                                                                                                       5.311.358€
ÖPNV-Umlage:                                                                                                                                                                                   518.473€

Gibt der Bund 100 Milliarden Euro aus, so kostet das rein rechnerisch 1250,- € für jeden von uns. Gibt das Land NRW 10 Milliarden Euro aus, so liegt der pro Kopf-Anteil bei 580,- €. Und gibt der Kreis 10 Millionen aus, so kostet das jeden 16,70 €.

(Beispiel: Kreishaus-Sanierung 30.000.000,- € in 2013 [1], 51.000.000, – € in 2019[2], ca. 70.000.000, – € am Ende – auch diese werden auf Jahrzehnte verteilt). Diese Beträge landen oft nicht direkt bei den BürgerInnen, sondern werden u. a. durch Unterfinanzierung der Kommunen Stufe für Stufe heruntergereicht.]

2.

Der Rat, insbesondere die langjährige Mehrheitsfraktion (CDU), aber auch alle anderen Ratsmitglieder der vergangenen Jahre.

Mit dem Geld, welches der Gemeinde nach Abzug aller gesetzlichen Verpflichtungen übrigbleibt, darf der Rat wirtschaften. Nach dem Haushaltsplan sind das für 2023 nur 4070,- €. der Rat kann also über 0.015 % der im Haushalt eingestellten Mittel frei verfügen.

Darüber hinaus ist es aber oft Auslegungssache, was rechtlich geboten und verpflichtend ist, und was nicht.

Ein Beispiel: Die Gemeinde muss im Rahmen der sogenannten Verkehrssicherungspflicht dafür sorgen, dass Verkehrswege ausreichend sicher sind. Ob dafür aber eine Laterne an einer bestimmten Stelle notwendig ist, kann verschieden ausgelegt werden.

Der Rat hätte seit mindestens in den letzten 10 Jahren, nämlich seit Bestehen des Haushaltssicherungskonzeptes, nichts mehr ausgeben dürfen, was nicht nach strengster Auslegung verpflichtend gewesen wäre.

Doch auch Ratsmitglieder erliegen Verlockungen. Als deutlich wurde, dass sich die Renovierung der Bröltalhalle mit Mitteln der EU bezuschussen ließ, schienen viele Ratsmitglieder die Dollarzeichen in den Augen zu haben. Dabei hat der damalige Kämmerer Heribert Schwammborn ausdrücklich vor den Risiken gewarnt. DIE LINKE hatte der Sanierung unter anderem deshalb nicht zugestimmt.
Zwar ist es richtig, dass die Abschreibung für die Bröltalhalle pro Jahr nur mit 60.000, – € zu Buche schlägt. Aber dafür geht dies 60 Jahre so. Das heißt auch, dass wir unzählige weitere Abschreibungen aus den letzten 60 Jahren haben, die unseren Haushalt belasten. Überhaupt nicht berücksichtigt sind bei dieser Betrachtungsweise die Kapitalkosten, sprich Zinsen, die ja auch in erheblichen Maßen anfallen.

In jedem Fall hat sich der Rat, und insbesondere die Mehrheitsfraktion der CDU zuzuschreiben, dass die Gemeinde über Jahrzehnte über ihre Verhältnisse gelebt hat.

3.

Bürgermeister und Verwaltung.

Wenn Bürgermeister und/oder der Verwaltung die Hauptverantwortung für die aktuelle Haushaltssituation gegeben wird, so ist das sachlich falsch. Insbesondere die CDU hat sich in letzter Zeit mit einer solchen Behauptung hervorgetan. Entweder kennt die CDU ihre Aufgabe im Rat nicht, oder die Aussage ist einfach niederträchtig, denn: Gemäß der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) ist der Rat das oberste Organ der Gemeinde. Der Bürgermeister hingegen ist das ausführende Organ der Gemeinde. Die Aufgaben und Befugnisse des Rates sind in § 41 der GO NRW festgelegt.

Zu den wichtigsten Aufgaben des Rates gehören:

  • Die Festlegung von Zielen und Grundsätzen für die Gemeinde
  • Die Beschlussfassung über den Haushalt und die Steuern der Gemeinde
  • Die Festsetzung von Satzungen und Verordnungen

Der Bürgermeister hingegen ist für die Ausführung der Beschlüsse des Rates und für die Leitung der Verwaltung zuständig. Seine Aufgaben sind in § 69 der GO NRW geregelt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Rat das oberste Entscheidungsgremium in der Gemeinde ist und der Bürgermeister für die Umsetzung der Beschlüsse verantwortlich ist.

Das bedeutet, dass weder Bürgermeister noch Verwaltung eigenständig größere Ausgaben veranlassen können. Dafür ist allein der Rat verantwortlich. Der Fraktion BSG wäre auch nicht bekannt, dass gegen diesen Grundsatz in der Gemeinde Ruppichteroth verstoßen worden wäre.

Auf der anderen Seite kann man durchaus kritisieren, dass der Bürgermeister z. B. noch im letzten Jahr eine Stelle für einen persönlichen Referenten angeregt hatte. Doch schließlich hat es nie einen Ratsbeschluss dazu gegeben, es blieb bei der Anregung.

4.

Die WählerInnen.

Gerne heißt es in der Kommunalpolitik „Die Bürger kümmern sich erst, wenn der Bagger im Vorgarten steht.“ Und ja, auch wir wünschen uns mehr Interesse an der Kommunalpolitik. Es ist die Ausnahme, dass BürgerInnen Fraktionssitzungen besuchen. Dabei dürfte dies (für den öffentlichen Teil) von jeder Fraktion gern gesehen werden.

Aber: Wer arbeiten muss und seiner Verantwortung als Wähler in der EU, im Bund, im Land, im Kreis und in der Gemeinde vollständig nachkommen will muss schon einen Tag mit mehr als 24 Stunden haben. An dieser Stelle ist vielleicht eher die Verantwortung der Ratsmitglieder anzusiedeln, die nicht der Mehrheitsfraktion angehören (also auch uns von der BSG): Wir hätten lauter sein müssen. Wir hätten früher und deutlicher sagen müssen was zu befürchten ist. Doch wir wollten den Teufel auch nicht zu früh an die Wand malen. Heute wissen wir, dass dies ein Fehler war, für den wir uns hiermit entschuldigen.

 

Was ist nun zu tun?

Die Kommunalaufsicht des Rhein-Sieg-Kreises hat mittlerweile mitgeteilt, dass es entgegen der zunächst vorherrschenden Rechtsauffassung in Rat und Verwaltung möglich ist, das Ende des Haushaltssicherungskonzeptes hinauszuschieben. Damit gewinnen wir Zeit. Der Rat kann also den Haushaltsausgleich in die Zukunft verschieben. Es wird uns auch nichts anderen übrigbleiben, das scheinen auch alle anderen Fraktionen so zu sehen. Aber damit wird das Problem nicht gelöst, sondern nur in die Zukunft verschoben. Schlimmer: Es wird wegen der wachsenden Schuldenlast tendenziell sogar schlimmer, umso länger wir es hinauszögern. Natürlich können wir hoffen, dass Land oder Bund den Kommunen beispringen. Doch diese Hoffnung gab es schon bei Einführung des Haushaltssicherungskonzeptes damit rechnen zu wollen wäre unverantwortlich.

Die CDU hat mitgeteilt, dass sie eine maximale Erhöhung der Grundsteuer B auf 850 Hebesatzpunkte mittragen wird. Da die CDU über die absolute Mehrheit im Rat verfügt, können wir davon ausgehen, dass dies für den aktuellen Haushalt so beschlossen wird.

Doch was kommt danach? Das Problem wird in jedem Fall von Jahr zu Jahr größer werden, solange wir keine substanziellen Änderungen vornehmen.

 

Unsere Vorschläge:

  • Ein praktischer Vorschlag der Fraktion BSG im Rat der Gemeinde Ruppichteroth ist die Schaffung eines kommunalen Vergabezentrums nach dem Vorbild der Kommunen im Kreises Groß-Gerau. Hierzu liegt ein gesonderter Antrag vor.
  • Außerdem haben wir den Bürgermeister gebeten, die Haushaltsberatungen in größeren Räumlichkeiten durchzuführen, damit genug Platz für interessierte BürgerInnen vorhanden ist.
  • Wir werden uns dafür einsetzen, die Zeit bis zum nächsten Haushalt zu nutzen, um in einer Veranstaltungsreihe, zusammen mit den BürgerInnen darüber zu beraten, wie das Defizit mittelfristig zu bewältigen ist.
  • 8 der Haushaltssatzung legt fest, ab welcher Summe eine Defizitüberschreitung als erheblich zu gelten hat und einen Nachtragshaushalt nach sich zieht. Wir möchten die bisherige Summe im Entwurf von 500.000,- € auf 250.000, – € senken. Dies soll für eine höhere Haushaltsdisziplin sorgen, beinhaltet aber auch das Risiko einen Nachtragshaushalt aufstellen zu müssen.
  • Wir diskutieren noch den folgenden Vorschlag: Für jeden Fachbereich soll eine Ausschreibung erfolgen. Die Gewinnerin der jeweiligen Ausschreibung soll Einblick in alle finanziell relevanten Unterlagen erhalten. Daraus soll sie Einsparungsvorschläge entwickeln, die zuerst dem Rat vorgelegt werden. Rat, Verwaltung und Bürgermeister beraten gemeinsam über die Vorschläge, bevor der Rat in seine Entscheidungsfindung darüber eintritt. Es wird eine prozentuale Vergütung für die Erarbeitung der Vorschläge vereinbart, so dass nur im Erfolgsfalle Kosten entstehen.

 

  • Wir werden prüfen, ob die Erstellung einer Gebührensatzung für Aufgaben von übergeordneten Behörden, die nicht ausreichend vergütet werden (sofern keine gesetzliche Grundlage die Gemeinde verpflichtet, die Aufgabe ohne Gebührenerhebung zu erfüllen.) gesetzlich möglich ist und ob sie Sinn macht.
  • Die Fraktion BSG wird darauf drängen, dass die Lasten nicht allein von denen zu tragen sind, die die Grundsteuer B zu zahlen haben. Wir werden beantragen, dass die Grundsteuer A und auch die Gewerbesteuer im gleichen Verhältnis erhöht werden, wie die Grundsteuer.

 

  • Auch ein Einstellungs- und Beförderungsstopp (freiwerdende Stellen erst nach frühestens 6 Monaten neu besetzten) wird von uns diskutiert. Klar muss dabei aber auch sein, dass wir als Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht haben. Die Arbeit muss leistbar sein. Am Ende kann eine zu große Ausdünnung des Stellenplanes auch gegenteilige Effekte haben. Zum einen, weil dann in aller Regel die krankheitsbedingten Ausfälle stiegen, zum anderen weil uns sonst die MitarbeiterInnen abwandern (siehe von uns über Umlage finanzierte Abwerbeprämien des LVR).

 

Nicht alle dieser Vorschläge werden wir schon zu den diesjährigen Haushaltsberatungen einbringen können. Manche bedürfen noch eingehender Prüfung und Diskussion. Deshalb begrüßen wir die von der Kommunalaufsicht erläuterte Möglichkeit den Haushaltsausgleich zu verschieben. Wir warnen aber auch ausdrücklich davor, diese Möglichkeit zu nutzen, um eine solche Verschiebung nun Jahr für Jahr vorzunehmen. Das Problem wir größer, solange wir es nicht lösen.

 

Zur Lösung gehört aber auch, Einfluss auf die Verantwortlichen in Bund und Land zu nehmen, damit Kommunen endlich eine ausreichende finanzielle Ausstattung erhalten.

[1]https://ga.de/region/sieg-und-rhein/siegburg/kreishaus-sanierung-soll-nun-30-millionen-euro-kosten_aid-41238693

[2]https://ga.de/region/sieg-und-rhein/siegburg/siegburger-kreishaus-sanierung-wird-deutlich-teurer_aid-44021559

Original der Pressemitteilung BSG:

2022-05-07_Pressemeldung_2https://www.hans-ralf-voigt.de/wp-content/uploads/sites/1076/2023/05/2022-05-07_Pressemeldung_2.pdf